Am Schluss des Romans stirbt Fabian völlig unerwartet beim Versuch, einen kleinen Jungen aus dem Wasser zu retten. Durch Fabians sinnlosen Tod kommt Erich Kästners pessimistische Botschaft deutlich zum Ausdruck. Dies soll auf dieser Seite besprochen werden.
Das Ende des Romans ist als Metapher zu verstehen. Der Moralist kann in einer gesellschaft, der die Unmoral vorherrscht, nicht bestehen. Dies liegt aber der Konzeption dieses Moralisten selber. Er kann nicht selbst seinen Moralbegriff definieren. So sagt er auf Seite 54: „Ich weiss ein Ziel, aber es ist leider keines. Ich möchte helfen, die Menschen anständig und vernünftig zu machen.“
Fabian ist ein melancholischer Moralist. Er sagt seinem Freund Labude auf seite 60, dass er ihm einen Direktorenposten, eine anständige Frau und eine Million Dollar geben könne – er würde trotzdem nicht glücklicher. Er sei so unglücklich wie die Zeit, in der sie lebten. Als Melancholiker ist Fabian handlungsunfähig. Ihm fehlt die Fähigkeit, Menschen für seine Ziele zu begeistern und zu überzeugen. Der Intelektuelle kann nicht handeln. Er fühlt sich überflüssig. Nirgends hat er das Gefühl gebraucht zu werden.
Im Laufe der Handlung fragt er sich zunehmends, ob die Moral in der damaligen Gesellschaft überhaupt noch gebraucht werde und ob die Menschen, die er moralisch verbessern will, überhaupt dazu gewillt und in der Lage seien. Auf Seite 209 fragt er sich sogar: „Vielleicht hatte Labude recht gehabt? … Vielleicht war das Ziel der Moralisten, wie Fabian einer war, tatsächlich durch wirtschaftliche Massnahmen erreichbar? War die moralische Forderung nur deswegen uneinlösbar, weil sie sinnlos war?“
Selbst die These, dass man dem Menschen Anstand und Moral beibringen kann, unterstützt er nicht. Er hält „die Erziehbarkeit des Menschengeschlechts“ für eine „fragwürdige These“ (s. 157) oder „Vernunft könne man nur einer beschränkten Zahl von Menschen beibringen, und die sei schon vernünftig.“ (s. 157). Solche Aussagen lassen Fabians Lebensziel überflüssig erscheinen und beschleunigen seine Selbstentfremdung.
So beklagt Fabian auf Seite 235, dass er nie helfen und zupacken konnte. Doch er relativiert diese Aussage sofort wieder: „Fand sich für den, der handeln wollte, nicht jederzeit und überall ein Tatort? Worauf wartete er seit Jahren?“ (s. 235)
Zurück zum letzten Kapitel und der Metapher: Das letzte Kapitel trägt unter anderem die Überschrift „Lernt Schwimmen!“ (s. 231). Dieser Titel ist als Appell an den Leser zu verstehen, dem Beispiel Fabian nicht zu folgen, denn sein Weg ist der falsche. Wer handeln will, muss Voraussetzungen dazu haben, oder wer die gesellschaft aus ihrer Krise retten will, muss über entsprechende Kentnisse und Fähigkeiten verfügen. Fabian hatte diese nicht und kam dementsprechend als Retter nicht in Frage. Man muss solche Verhätnisse schaffen, dass Vernunft und Moral zu ihrem Recht kommen. Über den Weg dorthin muss der Leser über den Roman hinaus selbstständig denken.
Quelle: Zusammenfassungen und ganze Abschnitte aus: May, Yomb (2019: s 57-61): Textanalyse und Interpretation zu Erich Kästner FABIAN Die Geschichte eines Moralisten, Königserläuterungen, Bange Verlag, 3. Auflage, Hollfeld