Historischer Hintergrund

Die Wirtschaftskrise von 1929 bis 1930 und die dadurch begünstigte politische Entwicklung.

Leere Kassen der öffentlichen Haushalte führten zu drastischen Kürzungen der Beamtenbezüge. Industrie und Banken brachen zusammen, und auch die Landwirtschaft geriet durch den Rückgang der Erzeugerpreise und den Anstieg der Verschuldung in Not. Am stärksten betroffen waren die Lohn- und Gehaltsempfänger, deren Massenentlassungen alle anderen Krisensymptome in den Schatten stellten. Zu Beginn des Jahres 1929 wurde erstmals der Tiefpunkt der Arbeitslosenzahlen1 von 1926 übertroffen. Im Erscheinungsjahr des Romans war die Arbeitslosenzahl auf über 5 Millionen angestiegen. Berlin, die Wahlheimat Erich Kästners, war mit am stärksten davon betroffen. Die wirtschaftliche Not der Betroffenen wird deutlich, wenn man deren soziale Absicherung betrachtet. Die zunächst noch vorhandene Absicherung, entsprechend der Arbeitslosenversicherung von 19272, war so gering, daß die wirtschaftliche Not der Betroffenen kaum gelindert war. Im Verlauf der Krise nahm diese Unterstützung aufgrund fehlender Mittel immer mehr ab, bis die Erwerbslosen nur noch durch Sachzuwendungen und Suppenküchen unterstützt werden konnten3. Eine der auffälligsten Begleiterscheinungen der Weltwirtschaftkrise war eine beispiellose Selbstmordwelle4, die sich mit dem Andauern der Depression auf alle sozialen Schichten ausbreitete: Industrielle und Bankiers, die vor dem wirtschaftlichen Aus standen, ebenso wie Dauerarbeitslose, die durch die krisenbedingten Belastungen, stundenlanges , aussichtsloses Anstehen an Arbeitsämtern oder Notküchen, Herumlungern oder den Aufenthalt in engen ungeheizten Wohnungen zermürbt waren5 Neben dieser unerfreulichen wirtschaftlichen Entwicklung verlief auch der politische Wandel negativ. Im März trat die Regierung Müller zurück. Sie war an den Schwierigkeiten der Finanzierung des Staatshaushaltes, insbesondere der

Arbeitslosenversicherung, gescheitert. Diese Situation benutzte Hindenburg dazu, den Kern der Verfassung von 1871 wiederherzustellen. ,,Der Reichspräsident sollte wieder, wie einst der Kaiser, das Recht haben, den Reichskanzler nach eigenem Ermessen zu ernennen und zu entlassen, und er sollte nicht genötigt sein, Gesetze zu verkünden, die er nicht billigte.“6 Somit war durch die Streichung des Artikels 54 der Verfassung den Monarchisten der Weg zum neuerlichen Besitz der Staatsgewalt geebnet. Hindenburg konnte nach Artikel 53 der Verfassung einen Reichskanzler seiner Wahl ernennen, der wiederum eine Minderheitsregierung bilden konnte. Dies war möglich, da das Parlament dem Amtsantritt des Reichskanzlers nicht zustimmen mußte, ,,… es konnte ihm lediglich das Mißtrauen aussprechen, was allerdings unwiderruflich seine Absetzung zur Folge hatte“.7 Der Reichspräsident hatte durch die Notstandsvollmacht nach Artikel 48 der Verfassung die Möglichkeit, Gesetze in Form von Verordnungen zu erlassen. Der Reichstag war jedoch in der Lage, alle präsidialen Maßnahmen nach Artikel 48 mit einfacher Mehrheit außer Kraft zusetzen. Sollte dieser Fall, eintreten so war es dem Reichspräsidenten nach Artikel 25 möglich den Reichstag aufzulösen. Spätestens am 60. Tag nach der Auflösung mußte allerdings eine Neuwahl stattfinden., spätestens am 30. Tag nach der Neuwahl mußte der Reichstag zusammentreten. In diesen drei Monaten konnten die präsidialen Maßnahmen nach Artikel 48 nicht aufgehoben werden. Diese Umstände führten schließlich zur Machtübernahme seitens der Nationalsozialisten in Deutschland.

Erich Kästner hat vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die ökonomische Entwicklung und den gegebenen politischen Umständen in Deutschland den Roman ,,Fabian, die Geschichte eines Moralisten“ geschrieben. Er greift die Unsicherheit der Menschen auf, die unter den Auswirkungen dieser Krise leiden und stellt die dadurch entstehende Enthemmung seiner Mitmenschen in den Mittelpunkt seines Romans. Daß die aufgeführten Umstände schließlich zur Machtübernahme der Nationalsozialisten führen würde, konnte Erich Kästner freilich nicht wissen.

Quelle: https://www.grin.com/document/97028